In Zeiten zunehmender internationaler Spannungen taucht in politischen Debatten immer wieder ein Begriff auf, den viele Bürger kaum einzuordnen wissen: der „Spannungsfall“. Doch was bedeutet es konkret, wenn dieser Fall in Deutschland festgestellt wird? Und worin unterscheidet sich der Spannungsfall vom bekannteren Verteidigungsfall, der zumeist mit einem tatsächlichen Kriegsgeschehen assoziiert wird? Um die möglichen Folgen richtig einschätzen zu können, lohnt sich ein nüchterner Blick auf die verfassungsrechtliche Lage.
6. Oktober 2025: Auch wenn bereits einige Politiker öffentlich über das Ausrufen des Spannungsfalls in Deutschland debattiert haben, gibt es derzeit laut dpa keine Pläne des Bundestags zu einer angeblichen und offensichtlich falsch gemeldeten Abstimmung über die Ausrufung des Spannungsfalls in Deutschland.
Was ist der Spannungsfall laut Grundgesetz?
Der Spannungsfall ist ein im Grundgesetz verankerter Ausnahmezustand, der noch vor dem eigentlichen Verteidigungsfall greift. Er wird in Artikel 80a GG geregelt und kann festgestellt werden, wenn sich eine Bedrohungslage abzeichnet, ohne dass ein bewaffneter Angriff auf Deutschland bereits stattgefunden hat.
Die Feststellung erfolgt durch den Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats. Die rechtliche Grundlage erlaubt es dem Staat, bestimmte Vorbereitungsmaßnahmen zur Landesverteidigung zu treffen – auch dann, wenn der konkrete Kriegsfall noch nicht eingetreten ist.
Der Verteidigungsfall – wenn der Angriff erfolgt ist
Dem Spannungsfall gegenüber steht der Verteidigungsfall, der in Artikel 115a GG geregelt ist. Er tritt dann ein, wenn Deutschland mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht.
Auch hier muss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats tätig werden, allerdings gelten im Verteidigungsfall nochmals schärfere Regelungen – insbesondere im Hinblick auf die Einschränkung von Grundrechten, den Einsatz der Bundeswehr im Inland und die Lenkung der Wirtschaft.
Der entscheidende Unterschied: Prognose vs. akuter Angriff
Der wesentliche Unterschied liegt im Zeitpunkt und Charakter der Bedrohung. Beim Spannungsfall handelt es sich um eine vorsorgliche Maßnahme, die es dem Staat erlaubt, sich auf eine potenzielle Gefährdung vorzubereiten – etwa durch Truppenverlagerungen, Wehrpflichtregelungen oder verstärkte Sicherheitsgesetze.
Beim Verteidigungsfall hingegen geht es um eine akute Kriegssituation, bei der bereits ein Angriff erfolgt ist oder unmittelbar bevorsteht. Beide Fälle aktivieren Sonderregelungen, doch der Spannungsfall kann deutlich früher und auf unbestimmte Zeit festgestellt werden – und ist daher politisch umso sensibler.
Übergänge und Missbrauchsgefahr?
Da der Spannungsfall bereits bei einer vagen Bedrohungslage ausgerufen werden kann, besteht die Gefahr, dass seine Anwendung politisch motiviert oder strategisch überdehnt wird. Während der Verteidigungsfall einen nachprüfbaren Angriff voraussetzt, reicht im Spannungsfall unter Umständen die politische Bewertung einer Sicherheitslage – was Raum für Interpretation und Auslegung lässt.
Aus rechtsstaatlicher Sicht ist daher besonders wichtig, dass die Anwendung dieser Ausnahmebestimmungen transparenter Kontrolle unterliegt – nicht zuletzt durch eine wachsame Öffentlichkeit und unabhängige Medien.
Der Spannungsfall ist kein bloßes Planspiel
Auch wenn der Spannungsfall auf den ersten Blick wie ein theoretisches Konstrukt wirken mag – in der Praxis schafft er ganz reale Befugnisse für Regierung und Militär, die tief in das Leben der Bürger eingreifen können. Es ist daher entscheidend, sich nicht nur mit dem Verteidigungsfall zu befassen, sondern auch diesen weniger bekannten Ausnahmezustand im Detail zu verstehen. Denn sobald der Spannungsfall ausgerufen wird, ändert sich das Verhältnis zwischen Staat und Bürger grundlegend – oft schleichend, aber mit weitreichenden Folgen.
Welche unmittelbaren Folgen hätte ein ausgerufener Spannungsfall?
Sobald der Spannungsfall durch Bundestag und Bundesrat festgestellt ist, ändert sich die rechtliche Lage in Deutschland grundlegend. Der Schritt aktiviert eine Reihe von Sonderbefugnissen, die normalerweise dem Ausnahmezustand vorbehalten sind. Diese betreffen nicht nur den militärischen Bereich, sondern auch das öffentliche Leben, die Verwaltung, die Medien und die Wirtschaft. Was genau passiert also ab dem Moment, in dem der Spannungsfall offiziell ausgerufen wird?
Erweiterte Gesetzgebungskompetenzen der Bundesregierung
Eine der zentralen Folgen ist, dass die Bundesregierung deutlich mehr Befugnisse erhält, Gesetze im Eiltempo durchzusetzen. So können Rechtsverordnungen mit Gesetzeskraft erlassen werden – also Regelungen, die sonst nur durch den Bundestag beschlossen werden dürften. Auch Kompetenzen, die eigentlich bei den Ländern liegen, können zentralisiert werden, etwa im Bereich Polizei, Katastrophenschutz oder Gesundheitswesen. Artikel 80a GG und weitere Vorschriften des Wehrverfassungsrechts öffnen hier Türen, die im Normalbetrieb verschlossen sind.
Einberufung der Bundeswehr – auch im Inland
Mit dem Spannungsfall wird das Einsatzspektrum der Bundeswehr erweitert. Sie kann nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zur Unterstützung im Innern herangezogen werden, insbesondere bei drohenden Gefahrenlagen. In Verbindung mit Artikel 87a Absatz 4 GG kann es so zum Inlandseinsatz der Streitkräfte kommen – etwa zur Unterstützung von Polizei oder zum Schutz „kritischer Infrastruktur“. Was lange Zeit undenkbar war, kann auf diese Weise schleichend Realität werden – legitimiert durch den Spannungsfall, auch ohne tatsächlichen Kriegsfall.
Mobilmachung: Reservisten und Wehrpflichtige
Mit der Ausrufung des Spannungsfalls tritt die sogenannte Spannungsfallklausel in Kraft, die es erlaubt,
- Reservisten einzuberufen,
- Wehrpflichtige wieder zu erfassen,
- und zivile Ersatzdienste anzuordnen.
Das bedeutet: Selbst Bürger, die seit Jahren nicht mehr wehrdienstpflichtig waren, könnten erneut in den Dienst gerufen werden. Zudem könnte die Wehrpflicht für junge Männer – und ggf. auch Frauen über den Zivilschutzweg – kurzfristig reaktiviert werden. Der Spannungsfall erlaubt dies bereits vor Eintritt eines Krieges, allein zur Vorbereitung.
In einem vorherigen Artikel habe ich beschrieben, welche Rechte zur Verweigerung des Wehrdienstes zur Verfügung stehen.
Einschränkungen der föderalen Ordnung
Im Spannungsfall kann die Bundesregierung – gestützt auf die Notstandsgesetzgebung –
- Weisungen an Landesregierungen erteilen,
- Behörden unter zentrale Leitung stellen,
- und auch Eingriffe in Justizabläufe vorbereiten (z. B. beschleunigte Verfahren).
Der Föderalismus, sonst Garant für politische Dezentralität, wird im Ausnahmezustand deutlich geschwächt – teils stillschweigend, aber effektiv.
Eingriffe in die Medien, Kommunikation und Informationsfreiheit
Eine weniger bekannte, aber folgenreiche Konsequenz betrifft den Informationsraum. Bereits im Spannungsfall kann der Staat:
- den Rundfunk koordinieren oder zentral lenken,
- Maßnahmen gegen „destruktive“ Berichterstattung treffen,
- die Telekommunikation überwachen (z. B. Mobilfunk, Internet, Messenger),
- und sogar Internetdienste regulieren oder einschränken, wenn die innere Sicherheit gefährdet erscheint.
Rechtlich möglich wird dies u. a. über das Artikel-10-Gesetz sowie ergänzende Regelungen in Verbindung mit dem G10-Gremium und dem Sicherheitskabinett.
Verpflichtung zur Mitarbeit – auch in Wirtschaft und Gesellschaft
Unter dem Schlagwort „Gesamtverteidigung“ kann der Staat Unternehmen und Bürger zur Mitwirkung verpflichten. Das betrifft etwa:
- Produktionsumstellungen in Industrie und Handwerk,
- Beschlagnahmung von Betriebsmitteln,
- oder die Verpflichtung zur Duldung staatlicher Eingriffe in Betriebsabläufe, Materialversorgung oder Logistik.
Auch Inhaber von Immobilien oder Fahrzeugen können zum Einsatz ihres Eigentums für „staatliche Zwecke“ verpflichtet werden – gegen Entschädigung, aber unter Zwang.
Der Spannungsfall ist kein Symbol, sondern ein machtvolles Werkzeug
Ein ausgerufener Spannungsfall hat sehr konkrete, weitreichende Folgen – nicht nur für Militär und Verwaltung, sondern für jeden einzelnen Bürger.
Er erlaubt es dem Staat, Wehrpflicht, Informationskontrolle und Eigentumseingriffe wieder in den Vordergrund zu rücken – ohne dass ein Krieg stattfindet. Gerade deshalb ist die Ausrufung dieses Zustands kein symbolischer Akt, sondern ein mächtiger Hebel zur Umgestaltung des rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmens.
Einschränkung von Grundrechten – was wäre noch erlaubt, was nicht?
In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Grundrechte oft als unantastbar. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Bereits in der geltenden Verfassung sind Sonderregelungen für Ausnahmesituationen vorgesehen – darunter eben auch der Spannungsfall. Sobald dieser festgestellt wird, kann der Staat gezielt und rechtmäßig in Grundrechte eingreifen, die im Normalfall unter besonderem Schutz stehen. Welche Rechte sind betroffen – und welche nicht?
Der verfassungsrechtliche Hebel: Artikel 115c GG
Die wichtigste Rechtsgrundlage für Grundrechtseinschränkungen im Spannungs- und Verteidigungsfall ist Artikel 115c Absatz 2 GG.
Darin heißt es sinngemäß, dass bestimmte Grundrechte „nach Maßgabe eines Gesetzes“ eingeschränkt werden dürfen, wenn der Spannungsfall festgestellt wurde. Betroffen sind vor allem folgende Grundrechte:
- Art. 10 GG – Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
- Art. 11 GG – Freizügigkeit
- Art. 12 GG – Berufsfreiheit, Verbot der Zwangsarbeit
- teils auch Art. 13 GG – Unverletzlichkeit der Wohnung
- sowie Art. 14 GG – Eigentum und Erbrecht
Diese Einschränkungen sind nicht pauschal, sondern an gesetzliche Vorgaben gebunden – dennoch ist der Ermessensspielraum erheblich erweitert.
Kommunikationsfreiheit: Überwachung wird zur Regel Einer der ersten und sichtbarsten Eingriffe betrifft das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). Bereits heute können unter bestimmten Bedingungen Telefone überwacht oder E-Mails mitgelesen werden.
Im Spannungsfall jedoch können diese Maßnahmen verallgemeinert und präventiv durchgeführt werden – auch ohne konkreten Tatverdacht, sondern rein zur „Gefahrenabwehr“. Dies betrifft unter anderem:
- Mobilfunk- und Internetverbindungen
- Messenger-Dienste
- private Postsendungen und Pakete
- Server- und Cloud-Zugänge
Die Kontrolle obliegt dabei nicht mehr allein unabhängigen Gerichten, sondern zunehmend Sicherheitsbehörden und politischen Gremien.
Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit
Artikel 11 GG garantiert im Grundsatz das Recht, sich frei innerhalb Deutschlands zu bewegen. Im Spannungsfall jedoch kann dieses Recht eingeschränkt oder aufgehoben werden. Denkbar sind:
- Ausgangssperren oder Sperrzonen
- Einschränkungen bei der Ausreise ins Ausland
- Meldepflichten oder Aufenthaltsauflagen
- Einschränkungen bei Wohnortwechseln oder Reisen
Auch diese Maßnahmen wären verfassungskonform, solange sie auf entsprechende Gesetze gestützt werden – etwa das Gesetz über den zivilen Bevölkerungsschutz.
Eingriff in die Berufsfreiheit – inklusive Pflichtdienste
Das Recht auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG) kann im Spannungsfall stark eingeschränkt werden. Denn neben militärischer Mobilmachung sind auch zivile Pflichtdienste vorgesehen, zum Beispiel:
- Zwangsverpflichtungen im Gesundheitswesen, bei Rettungsdiensten, Feuerwehr, Infrastruktur
- Verlagerung oder Stilllegung von Betrieben, wenn dies dem „Verteidigungsinteresse“ dient
- Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme in sicherheitsrelevanten Bereichen
Sogar Zwangsarbeit, die im Grundgesetz grundsätzlich verboten ist, kann unter bestimmten Bedingungen legitimiert werden, etwa im Rahmen des „Zivilschutzes“.
Eingriffe in Wohnung und Eigentum
Auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) kann im Spannungsfall beschnitten werden:
- Wohnungen können zur Gefahrenabwehr oder Einquartierung genutzt werden
- Durchsuchungen können erleichtert und richterliche Anordnungen umgangen werden
- Abhörmaßnahmen im privaten Raum sind möglich
Ähnlich sieht es beim Eigentum (Art. 14 GG) aus:
- Enteignungen zur Landesverteidigung sind ausdrücklich erlaubt
- Immobilien, Fahrzeuge oder Produktionsmittel können beschlagnahmt werden
- Entschädigungen sind zwar vorgesehen, müssen aber nicht vorab gezahlt werden
Auch landwirtschaftliche Erzeugnisse, Lebensmittel, medizinische Vorräte oder Maschinen könnten zur „Verteidigungssicherung“ herangezogen werden.
Welche Grundrechte bleiben (theoretisch) unantastbar?
Trotz aller Ausnahmen bleiben gewisse Grundrechte selbst im Spannungsfall geschützt – zumindest auf dem Papier. Dazu zählen:
- Menschenwürde (Art. 1 GG) – unantastbar
- Religionsfreiheit (Art. 4 GG)
- Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) – allerdings faktisch eingeschränkt durch Medienlenkung
- Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 92 ff. GG) – wobei Sonderregelungen greifen können
Doch auch hier gilt: Der faktische Umgang kann sich von der Theorie unterscheiden. Gerade in Notlagen geraten selbst grundgesetzlich geschützte Freiheiten schnell unter Druck – meist durch „temporäre Ausnahmen“, die dann bleiben.
Der Ausnahmezustand kennt kaum klare Grenzen
Ein ausgerufener Spannungsfall bedeutet rechtlich gesehen die Aktivierung einer parallelen Ordnung, in der zentrale Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden können – legitimiert durch die Verfassung selbst. Was viele Bürger als unantastbar wahrnehmen, wird in der Ausnahmelage zur Verhandlungssache – je nach Lage, Interpretation und politischem Willen. Daher ist es umso wichtiger, diese Entwicklungen bewusst zu verfolgen, auch wenn sie juristisch korrekt erscheinen.
Aktuelle Umfrage zum Spannungsfall in Deutschland
Was bedeutet das ganz konkret – von Wehrpflicht bis Enteignung?
Während die Debatte über den Spannungsfall meist auf politischer oder juristischer Ebene geführt wird, ist den wenigsten bewusst, welche ganz praktischen Auswirkungen dieser Schritt auf das tägliche Leben jedes Einzelnen haben kann. Es geht nicht mehr nur um Paragraphen und Verfassungsartikel, sondern um Fragen wie:
- Muss ich wieder zur Musterung?
- Darf der Staat mein Haus beschlagnahmen?
- Kann ich gezwungen werden, irgendwo zu arbeiten, wo ich gar nicht will?
All das – und mehr – wird durch den Spannungsfall möglich.
Die Rückkehr der Wehrpflicht – schneller als gedacht
Der Spannungsfall erlaubt dem Staat, die ausgesetzte Wehrpflicht reaktiv zuieren – ohne dass ein Krieg stattfindet. Das bedeutet konkret:
- Alle männlichen deutschen Staatsbürger zwischen 18 und 45 Jahren können wieder zur Musterung einberufen werden.
- Die Bundeswehr kann Einberufungsbescheide verschicken, selbst wenn man nie gedient hat.
- Auch ehemals Ausgemusterte oder Reservisten können erneut herangezogen werden.
Frauen sind zwar derzeit von der Wehrpflicht ausgeschlossen, könnten aber über den Zivilschutz verpflichtet werden (siehe unten). Einmal festgestellter Spannungsfall = Türöffner zur flächendeckenden Erfassung der wehrpflichtigen Bevölkerung.
Der Zivilschutz greift für alle – auch für Frauen
Neben der militärischen Komponente erlaubt der Spannungsfall auch die Einsetzung von zivilen Pflichtdiensten. Das betrifft nicht nur Männer – sondern alle Bürger, unabhängig vom Geschlecht. Konkrete Maßnahmen könnten sein:
- Verpflichtung zum Dienst in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, beim Katastrophenschutz
- Einsatz in der Lebensmittelverteilung, Transportlogistik, Infrastrukturüberwachung
- Arbeitsverpflichtungen in staatsnahen Einrichtungen (z. B. Energieversorgung, Wasserwerke, IT-Sicherheit)
Das bedeutet: Jeder Bürger kann zur „Mitarbeit am Gemeinwohl“ herangezogen werden – auch ohne Qualifikation, auch gegen den eigenen Willen.
Wohnraum und Fahrzeuge: Beschlagnahmung rechtlich möglich
Ein besonders heikler Punkt betrifft das Privateigentum. Im Spannungsfall kann der Staat:
- Wohnraum beschlagnahmen, z. B. zur Unterbringung von Soldaten, Flüchtlingen oder Einsatzkräften
- Fahrzeuge anfordern, insbesondere Transporter, Geländewagen, Maschinen
- Grundstücke, Garagen, landwirtschaftliche Flächen zweckentfremden, etwa zur Lagerung oder Versorgung
Das klingt drastisch – ist aber durch Artikel 14 GG in Verbindung mit den Notstandsgesetzen ausdrücklich verfassungsrechtlich gedeckt, solange eine Entschädigung vorgesehen ist. Diese muss jedoch nicht vorab gezahlt werden.
Unternehmen und Selbstständige: Eingriffe in Betriebsabläufe
Auch Betriebe, Handwerksunternehmen und Selbstständige sind betroffen. Im Spannungsfall kann der Staat:
- Produktionsmittel umlenken (z. B. Umrüstung auf Rüstungs- oder Notversorgungsgüter)
- Materialien beschlagnahmen
- Personalverfügungen anordnen, etwa für besonders qualifizierte Arbeitskräfte
- Vertragsverhältnisse auflösen oder anpassen, z. B. Lieferverträge, Leasing, Mietverhältnisse
- Preisvorgaben machen, z. B. für „kriegswichtige“ Produkte oder Dienstleistungen
Die wirtschaftliche Freiheit wird dadurch massiv eingeschränkt – auch wenn sie formal bestehen bleibt.
Einschränkung der persönlichen Lebensplanung
Mit dem Spannungsfall kann der Staat:
- Ausreisebeschränkungen erlassen – keine Garantie mehr, das Land zu verlassen
- Meldepflichten verhängen, z. B. für wehrfähige oder systemrelevante Personen
- Reiseverbote in bestimmte Regionen aussprechen
- Aufenthaltsvorgaben machen – wer also „eigentlich wegziehen wollte“, kann dazu verpflichtet werden, zu bleiben
Auch Studierende, Auszubildende, Rentner oder Alleinerziehende sind nicht automatisch geschützt – denn bei Bedarf kann jeder „dienstfähig“ erklärt werden, sofern dies zur Aufrechterhaltung von Ordnung oder Versorgung notwendig erscheint.
Psychologische Wirkung: Druck, Angst und Loyalitätspflicht
Neben den juristischen Folgen entfaltet der Spannungsfall eine psychologische Wirkung, die nicht unterschätzt werden darf:
- Öffentlicher Druck, sich „loyal zu verhalten“
- Angst vor Repressionen, wenn man sich kritisch äußert
- soziale Ausgrenzung, z. B. wenn man nicht zum Dienst erscheint
- Stigmatisierung von „Verweigerern“ oder „Abweichlern“
Zwar gibt es rechtlich gesehen immer noch Widerspruchsmöglichkeiten – doch in der Praxis ist das Klima in solchen Ausnahmephasen meist repressiv und intolerant gegenüber Kritik.
Der Spannungsfall ist keine abstrakte Lage, sondern der Einstieg in den Ausnahmealltag
Was auf dem Papier wie eine technische Maßnahme klingt, bedeutet in der Praxis tiefgreifende Veränderungen im Alltag: Plötzliche Einberufung. Pflichtdienste. Eigentum unter staatlicher Kontrolle. Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Kurz gesagt: Der Spannungsfall versetzt das Land rechtlich in Kriegsbereitschaft, noch bevor es einen Krieg gibt – und verlangt den Bürgern dabei unter Androhung von Strafe fast vollständige Anpassung und Mitwirkung ab.

Warum eine wachsame Öffentlichkeit gerade jetzt notwendig ist
In einem demokratischen Rechtsstaat ist es Aufgabe der Bürger, Entwicklungen nicht nur zu beobachten, sondern auch einzuordnen – gerade dann, wenn es um Ausnahmeregelungen geht, die das Verhältnis zwischen Staat und Individuum grundlegend verschieben. Der Spannungsfall ist ein solches Instrument: juristisch legitim, aber politisch hochsensibel.
Zwischen Sicherheit und Kontrollverlust
Der Staat hat – zweifellos – die Aufgabe, seine Bevölkerung zu schützen. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Schutz und Kontrolle? Der Spannungsfall ist kein Notbehelf für akute Gefahr, sondern ein weit auslegbares Instrument zur Vorausverteidigung. Genau das macht ihn so heikel:
- Er greift noch vor einem bewaffneten Angriff,
- erlaubt bereits tiefgreifende Einschnitte in Grundrechte,
- und verschiebt das Gleichgewicht der Gewaltenteilung – mit langfristigen Folgen.
Eine Gesellschaft, die solche Schritte unkritisch hinnimmt, gewöhnt sich mit der Zeit an Ausnahmen – bis sie zum Dauerzustand werden.
Die Rolle der Medien: zwischen Aufklärung und Einhegung
In Krisenzeiten tendieren viele Medien dazu, sich schützend um staatliche Narrative zu gruppieren – mit der Begründung, „die Bevölkerung nicht zu verunsichern“. Doch gerade in solchen Momenten braucht es eine unabhängige, kritisch fragende Öffentlichkeit, die:
- Begriffe wie „Spannungsfall“ nicht nur wiederholt, sondern erklärt
- Zusammenhänge offenlegt, ohne sie zu dramatisieren
- Stimmen zu Wort kommen lässt, die differenzieren statt moralisieren
Denn Demokratie lebt nicht vom Gleichklang, sondern vom Widerhall.
Historische Erfahrung: Rechte, die einmal eingeschränkt wurden…
…kehren oft nicht vollständig zurück. Das zeigen viele historische Beispiele – auch in Deutschland. Ausnahmeregelungen, die in Notzeiten geschaffen wurden, wirken oft Jahrzehnte später noch nach. Ein einmal ausgerufener Spannungsfall kann verlängert, ausgeweitet oder sogar zum politischen Normalfall werden – insbesondere, wenn die Bevölkerung die dahinterstehenden Mechanismen nicht versteht oder nicht mehr infrage stellt.
Selbstverantwortung statt Ohnmacht
Wachsamkeit bedeutet nicht Misstrauen gegenüber der Demokratie, sondern das Bewusstsein, dass Demokratie nicht statisch ist.
Sie lebt vom Mitdenken, vom Hinterfragen, vom Nicht-Mitlaufen. Dazu gehört:
- sich zu informieren, bevor ein Gesetz kommt,
- mit anderen zu sprechen – nicht nur digital, sondern im echten Leben,
- Verantwortung nicht zu delegieren, sondern selbst zu übernehmen – ruhig, freundlich, aber klar.
Wer das tut, wirkt nicht „quer“, sondern reif und mündig.
Warum ist Wachsamkeit nötig? Weil Demokratie Mitwirkung braucht. Weil Ausnahmen selten temporär sind. Und weil es Aufgabe freier Menschen ist, rechtliche Entwicklungen zu erkennen, zu hinterfragen und gegebenenfalls friedlich zu benennen.
Ein demokratischer Staat braucht Sicherheit –
doch er braucht ebenso mündige Bürger, die verstehen,
wann aus Sicherheit schleichend Kontrolle wird.
Eine Art Essay von Herrn von L’oerot zum Thema
Humor ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um Krisen aller Art besser zu überstehen. Herr von L’oreot hat daher in einer Art Essay seine Gedanken zum Thema Kriegsdienst und Spannungsfall in einem bebilderten Artikel zum Besten gegeben.
Weiterdenken in schwierigen Zeiten: „Krisen als Wendepunkte“

Dieser Artikel ist kein Zufall – sondern Teil eines größeren Zusammenhangs. In meinem Buch „Krisen als Wendepunkte – lernen, wachsen, gestalten“ zeige ich, wie persönliche, gesellschaftliche und politische Krisen nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Einladung zur Klarheit und Neuausrichtung verstanden werden können. Das Buch ist bewusst als ruhiger, reflektierender Ratgeber für die kommenden Jahre geschrieben – für Menschen, die Orientierung suchen, ohne sich belehren zu lassen.
Es soll Mut machen, eigene Gedanken zuzulassen, Verantwortung zu übernehmen – und sich nicht länger treiben zu lassen von Schlagzeilen, Druck oder Angst. Denn wer Krisen versteht, verliert die Angst vor der Zukunft. Und wer die Zukunft nicht fürchtet, gestaltet sie mit klarem Blick.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Spannungsfall in Deutschland
- Was genau ist der Spannungsfall – ist das schon Krieg?
Nein. Der Spannungsfall ist kein Krieg, sondern ein verfassungsrechtlich geregelter Sonderzustand, der bereits vor einem Angriff festgestellt werden kann. Er soll den Staat in die Lage versetzen, sich frühzeitig auf eine potenzielle Bedrohungslage vorzubereiten. Im Unterschied zum Verteidigungsfall liegt noch kein bewaffneter Angriff vor – wohl aber eine politisch bewertete Gefährdungslage. - Wer entscheidet, ob der Spannungsfall eintritt?
Der Bundestag stellt den Spannungsfall fest, allerdings mit Zustimmung des Bundesrates. Es handelt sich also um eine politische Entscheidung, die einer Mehrheit in beiden Verfassungsorganen bedarf – gestützt auf die Artikel 80a GG und 115a GG. - Was passiert unmittelbar nach der Feststellung?
Sobald der Spannungsfall festgestellt ist, erweitern sich die Befugnisse der Bundesregierung, der Streitkräfte und der Sicherheitsbehörden. Gesetze können beschleunigt geändert oder neu erlassen werden. Die Militär- und Sicherheitslogik tritt in den Vordergrund – auch im zivilen Bereich. - Ist die Bundeswehr dann auch im Inland im Einsatz?
Ja, unter bestimmten Bedingungen. Der Spannungsfall erlaubt den Inlandseinsatz der Bundeswehr, z. B. zum Schutz kritischer Infrastruktur oder zur Unterstützung der Polizei. Dies ist normalerweise durch das Grundgesetz stark eingeschränkt – wird aber durch Artikel 87a Absatz 4 GG im Spannungsfall erweitert. - Können Grundrechte dann eingeschränkt werden – und welche?
Ja. Folgende Grundrechte können laut Artikel 115c GG im Spannungsfall eingeschränkt oder vorübergehend außer Kraft gesetzt werden:
– Art. 10: Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
– Art. 11: Freizügigkeit
– Art. 12: Berufsfreiheit
– Art. 13 und 14: Wohnung und Eigentum (über Notstandsgesetze)
Andere Grundrechte, wie die Menschenwürde (Art. 1) oder Meinungsfreiheit (Art. 5), bleiben formal erhalten – können aber faktisch unter Druck geraten. - Wird dann wieder Wehrpflicht eingeführt?
Ja, das ist möglich. Der Spannungsfall aktiviert die gesetzlichen Grundlagen für die Reaktivierung der Wehrpflicht. Alle wehrfähigen Männer können einberufen werden, auch solche, die bislang ausgemustert oder nicht mehr wehrpflichtig waren. Die Musterung kann kurzfristig erfolgen. - Betrifft das auch Frauen?
Ja, über den Zivilschutz. Frauen können nicht zur Wehrpflicht, aber sehr wohl zu zivilen Pflichtdiensten herangezogen werden. Dazu zählen z. B. Pflege, Katastrophenschutz, Versorgung, Logistik. Es handelt sich rechtlich gesehen um einen gleichwertigen Eingriff, der auf das Zivilschutzgesetz gestützt wird. - Darf der Staat mein Haus oder Auto beschlagnahmen?
Ja. Im Spannungsfall kann privates Eigentum für Zwecke der Gesamtverteidigung beschlagnahmt oder zur Nutzung überführt werden – z. B. als Unterkunft, Lager oder Transportmittel. Eine Entschädigung ist vorgesehen, muss aber nicht im Vorfeld gezahlt werden. - Kann ich gezwungen werden, irgendwo zu arbeiten?
Ja, auch das ist möglich. Artikel 12 GG schützt die freie Berufswahl – aber dieser Schutz kann im Spannungsfall ausgesetzt werden. Der Staat kann Personen zur Arbeitsleistung in sicherheitsrelevanten Bereichen verpflichten, z. B. im Rettungswesen, bei Versorgungsdiensten oder in bestimmten Betrieben. - Kann ich das Land dann noch verlassen, wenn ich will?
Nicht ohne Weiteres. Im Spannungsfall kann die Bundesregierung Reisebeschränkungen oder Ausreiseverbote verhängen – insbesondere für Personen, die als dienstfähig oder sicherheitsrelevant gelten. Auch Freizügigkeit innerhalb Deutschlands kann eingeschränkt werden. - Wie lange kann der Spannungsfall dauern?
Theoretisch unbegrenzt. Es gibt keine festgelegte maximale Dauer. Solange Bundestag und Bundesrat die Situation als gegeben ansehen, kann der Spannungsfall verlängert werden. Auch ein schleichender Übergang in den Verteidigungsfall ist denkbar – mit noch weiterreichenden Folgen. - Kann ich mich gegen Maßnahmen wehren?
Formal ja – praktisch schwierig. Rechtsmittel sind möglich, z. B. Widerspruch oder Klage. Allerdings sind viele Maßnahmen im Spannungsfall „im öffentlichen Interesse“ legitimiert – Gerichte könnten daher entsprechend restriktiv urteilen. Der Rechtsweg besteht, ist aber in Notlagen häufig eingeschränkt. - Was passiert mit meinem Unternehmen im Spannungsfall?
Unternehmen können zur Bereitstellung von Material, Know-how oder Personal verpflichtet werden. Produktionsumstellungen, Preisvorgaben, Materialabgaben oder Betriebseinschränkungen sind rechtlich zulässig – unter Berufung auf das Gesetz über die Sicherstellung von Versorgung und Produktion. - Gibt es Schutz vor Missbrauch solcher Sonderrechte?
In der Theorie: Ja – durch Parlament und Bundesverfassungsgericht.
In der Praxis: Nur, wenn die öffentliche Kontrolle funktioniert. Das Problem liegt weniger im Recht – sondern im fehlenden Bewusstsein der Bevölkerung, wie weitreichend diese Sonderrechte tatsächlich sind. Missbrauch wird vor allem dann möglich, wenn keiner genau hinsieht. - Ist der Spannungsfall ein Vorwand für autoritäre Politik?
Das hängt von der Auslegung ab. Der Spannungsfall ist ein Werkzeug mit legaler Grundlage, das sehr weitreichend eingesetzt werden kann. Ob daraus autoritäre Politik wird, hängt davon ab, wie kritisch die Öffentlichkeit bleibt, wie unabhängig die Medien berichten – und ob Gerichte noch als Korrektiv wirken. - Was kann ich als Bürger tun – außer zuschauen?
Informieren, differenzieren, austauschen. Der Spannungsfall ist ein hochsensibles Thema, das nicht durch Polemik, sondern durch Aufklärung entschärft werden kann. Wer sich informiert, anderen Zusammenhänge erklärt und ruhig Position bezieht, trägt zur demokratischen Stabilität bei – auch in schwierigen Zeiten.






Interessant wäre noch ,ob es im spannungsfall noch Wahlen gibt oder ob die Regierung dann unbefristet tätig ist
Das ist in der Tat eine spannende und vor allem zentrale Frage, denn im Rahmen eines Spannungsfalls könnten Wahlen verschoben werden. Es wäre in der Geschichte jedenfalls nicht das erste Mal, wenn solche Werkzeuge genau zu diesem Zweck eingesetzt werden.